Nicaragua: «Schule statt Kinderarbeit» in Matagalpa

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Das Projekt ermöglicht jährlich über 70 arbeitenden Kindern und Jugendlichen aus prekären Familienverhältnissen den Schulbesuch. Mit Nachhilfeunterricht, weiterbildenden Kursen und einem vielseitigen Freizeitprogramm werden die Jungen und Mädchen begleitet. Das integrale Bildungsangebot hilft ihnen, emotionale Belastungen zu bewältigen und ihr Selbstwertgefühl zu stärken. Sie erhalten Raum, um Kind sein zu können, und sie werden unterstützt, um ihre Erwerbsarbeit zu reduzieren oder zu beenden.

Eckdaten des Projekts

Adresse

Centro de Promoción Social de Niños, Niñas y Adolescentes Trabajadores
Matagalpa
Nicaragua
Telefon: +(505) 2772 2181

Eröffnung

1992

Leitung

María Isabel Gutiérrez, Direktorin
unterstützt von einer Lehrerin, einem Betreuer, einer Betreuerin sowie einem Sozialarbeiter (Teilzeit) und einem Tanzlehrer (Teilzeit)

Begünstigte
  • jährlich über 70 Kinder und Jugendliche im Alter von 8 bis 15 Jahren, die arbeiten
  • Die Eltern aus 60 Haushalten werden beraten und entlastet
Infrastruktur
  • Schulungsmöglichkeiten in einem gemieteten Projektzentrum
  • Bibliothek mit Büchern, Nachschlagewerken, Lehrmitteln, Spielen und Bastelmaterial
  • vier ältere Computer für Computerunterricht
Ausbildung und Betreuung
  • Sicherung des Zugangs zu Primar- und Sekundarschule
  • gezielter Ergänzungsunterricht am Projektzentrum
  • psychologische Unterstützung und Aufzeigen von Perspektiven
  • ganzheitliche Förderung dank vielseitigem Freizeitprogramm
  • Kurse und Informationsveranstaltungen mit den Eltern und den Kindern
  • regelmässige Hausbesuche
Projektkosten EEF

CHF 37’000.– (2025)

Projektdauer

EEF-Unterstützung seit 2016

Projektziel

kontinuierlicher Schulbesuch der Begünstigten sowie die Ermöglichung einer besseren Perspektive durch einen Abschluss. Insgesamt soll sich eine positive Haltung gegenüber dem Bildungswesen entwickeln und der Wert der Ausbildung gestärkt werden

Das Projekt

Ausgangslage

In Nicaragua sind die Regierung, Arbeitgeber und Familien gesetzlich verpflichtet, Kinderarbeit zu verhindern. Die schlechte wirtschaftliche Lage macht es für viele Familien jedoch äusserst schwierig, ihre Kinder nicht zur Arbeit zu schicken oder ihnen keine Pflichten im Haushalt zu übertragen. 25 Prozent der Menschen leben unter der nationalen Armutsgrenze, und da auf dem Land die Armut proportional noch viel grösser ist, wandern viele Kleinbauern entweder ins nahe Ausland ab oder ziehen in ein Aussenquartier einer grösseren Stadt. Auch in Matagalpa wohnen in neu entstandenen Quartieren zahlreiche schlecht qualifizierte Zuzügerinnen und Zuzüger. Sie arbeiten während der Erntesaison auf den umliegenden Kaffeeplantagen und schlagen sich in den anderen Monaten in der Stadt mit Hilfsarbeiten durch.

In den Armenvierteln hat die Existenzsicherung für die meisten Haushalte Priorität, und Kinder werden früh zum Mithelfen angehalten anstatt in die Schule geschickt. Obschon die Primarschule gratis ist, können viele Haushalte nicht für die anfallenden Nebenkosten wie Uniformen oder Lehrmittel für sämtliche Kinder aufkommen. Lokale NGOs gehen davon aus, dass die 2005 von der nicaraguanischen Regierung erhobene Zahl von über 240’000 arbeitenden Kindern seither deutlich angestiegen ist. Die Unicef sprach 2015 von über einer halben Million Kindern und Jugendlichen zwischen 3 und 17 Jahren, die nicht zur Schule gehen.

Das Projekt «Schule statt Kinderarbeit» verändert das Leben der betroffenen Jungen und Mädchen entscheidend. Und die Eltern erfahren mit der Zeit den Nutzen der Ausbildung, da die Kinder die Grundschule abschliessen oder eine höhere Ausbildung anstreben und dadurch eine bessere Anstellung finden.

Projektverlauf

Die Vorgängerorganisation des Projekts, Las Hormiguitas, blickt auf eine lange Erfahrungsgeschichte zurück. Mithilfe einer finnischen Organisation rief die damalige Bürgermeisterin von Matagalpa 1992 ein Ernährungsprogramm für die auf dem Markt Guanuca arbeitenden Kinder ins Leben. Damit erreichte das Projekt jedoch keine Reduktion der Kinderarbeit. Die Projektleiterin, María Isabel Gutiérrez, regte daher an, ab dem Jahr 2000 den Schwerpunkt auf die Schulbildung zu setzen. Sie konnte dafür neue Gönner überzeugen und brachte die Stadtverwaltung und das Movimiento Comunal Nicaragüense de Matagalpa dazu, in unmittelbarer Nähe zum Markt ein Projektzentrum herzurichten.

Seither hat das Projektteam das Konzept kontinuierlich weiterentwickelt. Etliche Jugendliche beendeten ihre Schule und begannen danach – sofern die Mittel vorhanden waren – mit einer Berufsausbildung respektive mit der Universität. Drei ehemalige Begünstigte arbeiten heute im Projekt. Das kleine Team hat sich einen ausgezeichneten Ruf in der Stadt erarbeitet, gibt es doch keine andere Organisation, die sich des komplexen Problems der Kinderarbeit und deren harter sozialer Realität annimmt.

Jährlich profitieren über 70 Kinder und Jugendliche im Alter von 8 bis 15 Jahren vom vielseitigen Angebot. Sie stammen hauptsächlich aus den umliegenden Quartieren des Markts. Dort entladen sie Güter von Kleinlastern, rüsten das Gemüse, flitzen für kleine Aufträge hin und her, schleppen Pakete von einem Ort zum anderen, tragen den Marktleuten ihr Essen aus, verkaufen Ware oder beseitigen den Abfall. Da viele von ihnen beim eigenen Familienbetrieb mithelfen, ist ihr Lohn, abgesehen von einer Mahlzeit, in der Regel minimal.

Bis 2023 besuchten die Projektmitarbeitenden mit der mobilen Schule zweimal pro Monat öffentliche Plätze der Stadt, wo Kinder die Mülltonnen nach verwertbaren Gegenständen durchsuchten. Der besondere Unterricht erlaubte es ihnen, für einen Moment dem Alltag zu entfliehen und Neues zu entdecken. Bei der mobilen Schule handelt es sich um einen kleinen Wagen, der mit 250 Bildtafeln versehen ist. Die Tafeln zeigen symbolhaft Buchstaben und Zahlen und bilden Formen und Alltagsgegenstände ab.

Seit 2018 entzog die Regierung mehreren Tausend nichtstaatlichen Organisationen den Rechtsstatus. Ende 2023 erreichte uns die Nachricht, dass auch die Dachorganisation von Las Hormiguitas, das Movimiento Comunal Nicaragüense de Matagalpa, vom Staat geschlossen wurde. Dies macht die Gründung einer neuen Trägerorganisation notwendig, so dass die bisherige Unterstützung für arbeitende Kinder und Jugendliche einen frischen Projektnamen erhalten wird. Da dieser Prozess Zeit beansprucht, nennen wir das Projekt vorübergehend «Schule statt Kinderarbeit».

Erfolge und Herausforderungen

Das Projekt ist erfolgreich dank des Zusammenspiels von verschiedenen Komponenten. Der Einbezug der Eltern führt dazu, dass die Kinder ihre Arbeitsleistung reduzieren können und in ihrem Bildungsprozess unterstützt werden. Die Materialausgaben und Stipendien ermöglichen den Schulbesuch. Dank des gezielten Stützunterrichts und der psychologischen Betreuung schliessen weitaus die meisten Begünstigten die Schule mit guten Noten ab. Dazu werden die Kinder und Jugendlichen mit Workshops und einer vielfältigen Freizeitgestaltung gefördert und bei ihrem Einstieg ins Berufsleben begleitet. Somit erhöhen sich ihre Chancen wesentlich, den Lebensunterhalt selber zu verdienen.

«Schule statt Kinderarbeit» unterhält seit Jahren enge Beziehungen zu Schulen, Organisationen und Privatpersonen. Die Kontakte zu lokalen Schulen ermöglichen die rasche Einschulung der begünstigten Kinder und Jugendlichen. Die gute Vernetzung erleichtert die gemeinsame Organisation von Weiterbildungen oder grösseren Events für die Jungen und Mädchen sowie deren Eltern.

Das Projektteam entwickelte fantasievoll Möglichkeiten, ein Einkommen für «Schule statt Kinderarbeit» zu erwirtschaften. So unterhalten sie einen Kopierservice im Projektzentrum und vermieten Tische und Stühle beispielsweise für Hochzeiten. Trotzdem war die vollständige Finanzierung vor dem Beginn der EEF-Unterstützung nicht immer gewährleistet. Die Mitarbeitenden von Las Hormiguitas arbeiteten zu einem sehr tiefen Lohn. Traf eine erhoffte Spende nicht ein, so verzichteten sie auf einen Teil des Lohns und es mussten einzelne Elemente des ganzheitlichen Projektansatzes eingespart werden. Doch erst mit dem gesamten Bündel der Projektangebote können die anvisierten Ziele effektiv und dauerhaft erreicht werden.

Ziele

Pro Jahr ermöglicht das Projekt über 70 arbeitenden Kindern und Jugendlichen den Schulbesuch. Die Unterstützung mit Schulmaterialien, Schuhen und dem täglichen Nachhilfeunterricht gewährleistet, dass mindestens 85 Prozent der Schülerinnen und Schüler die Promotion in die nächste Klasse schaffen und ihre Schulbildung abschliessen.

Die arbeitenden Kinder und Jugendlichen leben unter prekären sozialen Verhältnissen. Sie sind arm, vernachlässigt und oft Opfer von familiärer Gewalt. Dank der psychologischen Betreuung und der Workshops bewältigen die Begünstigten emotionale Belastungen, steigern ihr Selbstvertrauen und erkennen ihre Lebensziele durch das Aufzeigen von Perspektiven.

Das vielseitige Freizeitangebot hilft den Kindern und Jugendlichen psychisch und physisch stärker zu werden und vermittelt elementare gesellschaftliche Werte und Normen. Gleichzeitig wird damit ihre mentale und motorische Entwicklung gefördert.

Der enge Einbezug der Eltern ist eine elementare Projektkomponente. Sie verpflichten sich in einem Vertrag, die Arbeitsleistung der Kinder zu reduzieren, sie beim Schulbesuch zu unterstützen, an den Workshops teilzunehmen und durch aktive Mithilfe die Arbeit von «Schule statt Kinderarbeit» mitzutragen. Die Beziehung zu den Eltern vertieft sich mit den periodischen Hausbesuchen. Zudem steht das Projektzentrum als Anlauf- und Beratungsstelle offen.

Unterstützung durch den EEF

Nach Vorgesprächen und Projektbesuchen durch EEF-Vertreter entschied der Vorstand des equal education fund, ab 2016 die Arbeit von «Schule statt Kinderarbeit» zu unterstützen. Es ist für den EEF wichtig, das Engagement der Mitarbeitenden mit einer angemessenen Entlöhnung zu würdigen. Diese Mittel kommen durch den Unterricht, die psychologische Betreuung und das strukturierte Freizeitangebot allen Begünstigten direkt zugute. Weitere Budgetposten sind für die Schulutensilien, Bücher und Materialien für die Workshops vorgesehen.

Bereits seit längerer Zeit bestehen durch Städtepartnerschaften Verbindungen nach Europa. Durch einen Fotokopierservice, die Vermietung von Stühlen und Tischen und den Beiträgen der Eltern der einbezogenen Kinder und Jugendlichen verfügt das Projekt über eigene Einnahmen. Mit seinem Engagement will der EEF helfen, dass das Projekt seine selbst generierten Mittel weiter ausbauen kann. Eine Grundlage hierfür sieht der equal education fund in der Professionalisierung der Berichterstattung und der Buchhaltung. Neben der finanziellen Unterstützung bringt der EEF daher auch sein Know-how im administrativen und planerischen Bereich ein.

Nicaragua

Bevölkerungszahl

6,6 Millionen Einwohner (Schätzung von 2024)

Fläche

129’494 km²
(dreimal die Fläche der Schweiz)

BIP pro Kopf

CHF 6’100.– (2023, kaufkraftbereinigt)

EEF-Karte Las Hormiguitas Nicaragua

Preise in Matagalpa (Stand Februar 2020)

  • 1 Liter Benzin:
    CHF 1.10
  • 1 Liter Milch:
    CHF 1.–
  • 1 Liter Coca-Cola:
    CHF 1.15
  • 1 Kilo Brot:
    CHF 3.20
  • 1 Kilo Reis:
    CHF 1.10
  • 1 Kinobillett:
    CHF 4.50
  • 1 Paket Zigaretten:
    CHF 2.30
  • 1 Stück Seife:
    CHF –.75

Quellen:
CIA World Factbook, Unicef, Weltbank, Angaben von María Isabel Gutiérrez, eigene Gestaltung und Berechnungen.

Video

Projektpräsentation